Wenn die Nächte kurz sind, ein paar Stunden Schlaf auf dem Teppichboden einer Fähre, verschmelzen die Tage. War es zwischen Abfahrt und Ankunft überhaupt dunkel? Im Hafen von Piräus schultere ich meinen Rucksack, reibe mir den Schlaf aus dem Augen und versuche mich zu orientieren. Auf einem kleinen Zettel in meiner Hand stehen zwei Handynummern und der Name eines Bahnhofes: Korinthos. Nahe Korinthos befindet sich der Bio-Bauernhof, den ich über das WWOOFER Netzwerk gefunden habe, auf dem ich die nächsten zwei Wochen arbeiten will. Nach fast acht Monaten Reise habe ich Erfahrung im Menschen fragen und Züge finden. Sogar das Umsteigen an einem Geisterbahnhof in der flimmernden Mittagshitze gelingt mir und so komme ich schließlich früher als erwartet in Korinthos an.
Außer mir wartet niemand auf dem Bahnhof. Ein Mann fragt mich, ob er mir helfen könne. Müde winke ich ab und versuche zu erklären, dass ich gleich abgeholt werden sollte. Er geht nicht bis ich ihm sage, es wäre mein Freund, der mich gleich abholen würde. Falls der Mann noch ein paar Momente länger am Bahnhof gewartet haben sollte, muss sich ihm ein merkwürdiges Bild geboten haben.
Denn der Mann, der wenig später aus einem verbeulten blauen Kleinwagen aussteigt und mich begrüßt, ist um die fünfzig Jahre alt. Die Hände, die er mir zur Begrüßung reicht, sind rissig und staubig. Er trägt ein ausgebeultes Hemd mit einigen Löchern und an seiner Hose klebt Erde. Seine zweckmäßige Arbeitskleidung erinnert mich an meine Familie in Breb. Ein wenig später wird Alexandra, seine Frau, mir eine Tomate an ihrem T-shirt polieren. Sowie Christis Mutter in Breb schnell noch einmal mit dem Ärmel über die Teller fuhr, wenn sie ihr nicht sauber genug erschienen.
Der Mann stellt sich als Konstantin vor und lächelt mich herzlich an.
Der Korinthos-Kanal. Mit dem Fahrrad nur weniger Minuten von dem Hof entfernt.
Die erste Tomate
Vom Bahnhof aus fahren wir etwa drei Minuten über staubige Pisten bis wir auf eine asphaltierten Landstraße stoßen. Vor uns taucht ein Tisch, mit weißer Plane überspannt, auf. Konstantin hält an. Hinter Kisten voller Oliven tritt eine zierliche, aber muskulöse, Frau hervor. Sie trägt ein Spagettiträgertop und graue Hosen. Wenn sie lächelt entblößt sie fast den gesamten Oberkiefer. Auch sie schätze ich auf etwa fünfzig Jahre. Ihr strahlend blonden Haare trägt sie zu einem Zopf gebunden. Konstantin stellt uns einander vor, sie macht einen Schritt auf mich zu und umarmt mich kräftig. Dabei bemerkt Konstantin die roten Striemen auf meinen Schultern „Oh hast du einen Freund?“, fragt er schelmisch. „Nee, die sind von meinem Rucksack“, antworte ich und versuche die roten Striemen zu überdecken, die tatsächlich ein bisschen wie Knutschflecken aussehen. Alexandra haut ihm derweil leicht in die Seite und erklärt mir, dass er immer doofe Witze mache. Dass man dagegen nichts tun könne sondern es einfach ignorieren solle. Ich lächele nett und ahne nicht, wie viele dieser „doofen Witze“ ich noch zu hören bekommen würde…
In diesem Moment bleibt ein Auto vor dem Stand stehen, ein Mann steigt aus, sagt etwas zu Konstantin und zeigt auf sein Auto. „Der Tank dieses Nachbarn ist immer leer, wenn er hier vorbei fährt! Wir sind praktisch seine Tankstelle!“ empört sich Konstantin mit einem Lächeln und öffnet seinen eigenen Kofferraum um einen Benzinkanister hervor zu holen.
Als er das Auto aufgetankt hat, verwickelt ihn der Nachbar in ein Gespräch auf griechisch. Während er redet greift er nach einer der Tomaten in der Kiste zu seinen Füßen und beginnt sie mit einem großen Messer in Achtel zu schneiden. Ohne hinzusehen schneidet er perfekte Stücke aus der Frucht, pikst sie mit der Messerspitze auf, streut mit der freien Hand etwas Salz darauf und hält es mir dann wortlos hin. Jede Tomate schmeckt anders. Als hätten die verschiedenen rot- und gelb Nuancen unterschiedliche Aromen. Nach einer Weile fährt der Nachbar wieder, und noch ein bisschen später hält ein zweites Auto. „Das besten an diesem Mann ist seine Frau!“, ruft Konstantin zur Begrüßung. Alle versuchen ein paar Worte auf englisch mit mir zu wechseln und ich gebe mir große Mühe, die Augen offenzuhalten. Irgendwann stupst Alexandra Konstantin an, der ins Gespräch mit einem weiteren Kunden versunken ist, und sagt in einem entschlossenen Tonfall: „Sie muss sich ausruhen!“. Ich werde mit dem Auto etwa hundert Meter weiter zu einem gelb gestrichenen Bauernhaus mit grünen Fensterläden gefahren. In meinem Zimmer, einem kühlen Raum mit schweren Holzmöbeln, falle ich dankbar in das weiche Bett und schlafe sofort.
Am nächsten Morgen erwache ich vor der Sonne. Konstantin und Alexandra hatten mir am Abend zuvor erklärt, dass im Moment Kartoffelernte auf dem Plan steht. Und da es tagsüber zu heiß für die Arbeit auf dem Feld ist, fangen wir bereits um 6 Uhr morgens an. Zwei Nachbarfrauen sind zur Unterstützung gekommen, schweigend arbeiten wir uns die langen Reihen auf dem Acker entlang. Immer Zwei stehen neben einer Kiste und und werfen die Kartoffeln aus der, vom Traktor aufgewühlten, Erde in die Kiste. Ich vermeide mit Konstantin an einer Kiste zu arbeiten. Am Abend zuvor hatten wir eine erste Diskussion über Amerika, Weltherrschaft und Nazis gehabt und ich bin nicht erpicht darauf, die Diskussion im Sonnenaufgang fortzusetzen (mehr über die Inhalte unserer furchtbaren Diskussionen hier)
Kartoffeln ausbuddeln ist eine mühsame Arbeit. Schon nach kurzer Zeit fängt mein Rücken an weh zu tun. Aber obwohl mich am Anfang alle beobachtet haben, stellt sich das Stadtkind nicht so blöd an wie erwartet. Sowohl mit 16 Jahren in Lettland, als auch im Garten meiner Großeltern habe ich schon Kartoffeln geerntet. Wenn auch nicht auf so endlos erscheinenden Äckern…
Die größere Herausforderung ist tatsächlich das Kartoffel sortieren. Dafür setzen wir uns nach der Ernte in die Schatten von zwei großen Sonnenschirmen auf umgestülpte Kisten und sortieren die Knollen in vier Kategorien: Groß, Mittel, Klein und Yamas. Yamas bedeutet „für uns“ und gemeint sind all die Kartoffeln, die nicht schön genug für den Verkauft sind.
Mir scheint es, als würde jeder etwas anderes unter großen und kleinen Kartoffeln verstehen und immer wenn ich mich entscheide, dass diese Kartoffel eindeutig mittelgroß ist und sie in die entsprechende Kiste werfe, nimmt jemand anders sie wieder hinaus und tut sie zu den großen Kartoffeln.
Bio ist Herzenssache
Die sortierten Kartoffeln kommen anschließend ins gekühlte Lagerhaus und werden dann von einem Supermarkttransporter abgeholt. Konstantin und Alexandra arbeiten schon seit vielen Jahren mit den gleichen Supermarktketten in Athen zusammen. „Und habt ihr von Anfang an nur Bio-Gemüse verkauft?“ frage ich Alexandra. Nein, erklärt sie, im Gegenteil, sie hätten sich lange gegen das Bio-Siegel gewährt. Sie fanden, dass gutes und chemiefreies Essen eine Selbstverständlichkeit sein sollte und weder extra kosten, noch extra ausgezeichnet sein dürfe. Auf Grund der Krise hätten sie sich schließlich doch entschieden, die paar mehr Cent fürs Kilo Kartoffeln zu nehmen. Auch würden sie nun öfter auf Bauernmärkten verkaufen. Ohne den Zwischenhändler würden sie einen größeren Profit machen und die Menschen könnten billiger einkaufen, sagt sie.
Das Land, auf dem wir arbeiten, hat eine lange Geschichte. Schon seit Generationen gehört es Konstantins Familie und über die Jahre wurden hier die unterschiedlichsten Güter produziert. Sie waren die allerersten in der Region, die Saftorangen kultivierten und ihr Orangensaft sei in ganz Griechenland bekannt gewesen, erzählt Konstantin. Nach den Orangen war der Weinanbau gekommen, den Konstantin aufgegeben hatte, als sein Vater überraschend verstarbt und mit ihm die Expertise. Ein Relikt aus diesen Tagen ist das große Betonbecken neben dem Bauernhaus. Einst hatte es als Weinkeller gedient, heute wird als Wasserspeicher genutzt.
Ich möchte wissen, ob auch die Eltern und Großeltern schon Bio produziert hätten. Konstantin überlegt und sagt, dass man schon immer viel Wert auf Qualität gelegt habe, aber früher hätte man schon manchmal mit Chemie gedüngt. Man habe es eben nicht besser gewusst. Auch als Konstantin den Hof übernahm, düngte er die Feld mit chemischen Unkrautvernichtern.
„Das waren furchtbare Zeiten“, erzählt Alexandra, „Schon Tage vor dem Düngen hatte Konstantin schlechte Laune und sprach mit niemandem mehr. Und am Düng-Tag selber mussten alle Arbeiter und ich uns im Haus einschließen, weil Konstantin nicht wollte, dass außer ihm noch jemand den giftigen Nebel atmen muss. Er hat sich dann angezogen wie jemand, der im Atomkraftwerk arbeitet und die Felder gedüngt. Aber es hat ihn kaputt gemacht. Auf Bio umzustellen war definitiv eine Herzenssache“
Gespräche wie dieses sind es, die machen, dass ich meine zwei Wochen auf dem Bauernhof nicht vorzeitig beende, obwohl ich jeden Tag mindestens dreimal das Handtuch werfen möchte.
Harry Potter gegen Sexismus
Schuld daran ist definitiv nicht die harte Arbeit. Konstantins Witz über die Striemen an meiner Schulter am ersten Tag hätte mir eine Warnung sein sollen. Es wird immer und immer schlimmer. Egal was ich tue – Konstantin schließt daraus auf mein Sexleben („Fässt du einen Mann auch so an wie diese Schaufel?“) und wenn ich mich weigere diese Witze zu kommentieren muss ich mir anhören, wie verklemmt meine Generation sei. Irgendwann höre ich auf Konstantin Dinge zu fragen. Egal ob es um das Abschalten der Wasserpumpe oder die Zubereitung eines Hühnchens geht, die Antwort ist immer widerlich. Lauthals wütend werde ich leider nie. Nur eingeschüchtert, schweigend, sprachlos, angeekelt, peinlich berührt oder traurig.
Als Konstantin mich an einem weiterem Morgen während der Kartoffelernte fragt, wie deutsche Männer im Bett sind und ich nicht antworte grinst er mich an: „Also bist du noch Jungfrau?“. Ab diesem Moment trage ich Kopfhörer bei der Arbeit und hörte mich so in zwei Wochen durch alle Harry Potter Bücher durch. Dank der Kopfhörer waren die Arbeitszeiten nun meine Lieblingszeiten. Mehrere Tage verbringe ich ungestört und friedlich damit, tausende Kartoffeln in Kisten zu sortieren. Meine liebste Beschäftigung aber ist das Traktor fahren. Für mich, die keinen Führerschein hat, ist es ein sehr mächtiges Gefühl mit 30 km/h übers Land zu rumpeln, den Schaltknüppel, mindestens so groß wie mein Arm, umzulegen und die großen Spuren zu betrachten, die meine Räder in der Erde hinterlassen.
Etwa eine halbe Woche lang sind wir damit beschäftigt, die Felder mit Hühnerkacke zu düngen. Ich fahre dafür den Traktor langsam über die Felder während Konstantin und ein Arbeiter auf dem Anhänger stehen und die Kacke schippenweise auf der Erde verteilen. Eine schöne Arbeit, die nur selten davon getrübt wird, dass der Wind schief steht und die Hühnerkacke mir in den Nacken weht (Konstantins Kommentar: „Also magst du es dreckig?“. Kopfhörer beim Traktor fahren geht leider nicht.)
Ausgerechnet auf einem Bio-Bauernhof zu arbeiten verfluche ich nur einmal. Und zwar, als ich, Reihe für Reihe, Acker für Acker, die jungen Tomatenpflanzen vom Unkraut befreie. Ob das Gebücke finanziell sich den wenigstens lohne, frage ich Alexandra eines Abend, als wir uns die schmerzenden Rücken reiben. Sie schüttelt den Kopf.
Obwohl sie und Konstantin sehr hart arbeiten reichte das Geld vorne und hinten nicht. Jede neue Stromrechnung ist ein kleiner Weltuntergang. Banken in Griechenland geben keine Kredite mehr und so telefoniert Alexandra jeden Abend mit Freunden und Bekannten um sich das Geld für die nächste Rechnung zusammen zu borgen. Das Gemüse auf dem Land wächst leider nicht nach Plan der Bank und Ernte ist nicht immer zum Quartalsende. Wenn sie die nächste Elektrizitätsrechnung nicht zahlen könnten, so würde ihnen der Strom abgestellt, erzählt Alexandra. Ohne Strom würden die Wasserpumpen nicht funktionieren, und ohne die könnten sie ihren Hof vergessen.
Konstantins Geschwister drängen die beiden schon seit Jahren das Land zu verkaufen. Aber Konstantin und Alexandra wollen trotz aller Schwierigkeiten nicht aufgeben. „Es macht mich glücklich etwas Gutes zu produzieren.“ sagt Alexandra. Und Konstantin ergänzt: „Es ist nicht richtig, dass heutzutage niemand mehr etwas produzieren will und unsere Arbeit nicht wertgeschätzt wird. Ich will nicht, dass die Menschen Industrieware essen müssen und das für normal halten. Deswegen mache ich das hier.“
Auch wenn die aktuelle Krise ihre tägliche Arbeit nicht beeinflusst, so haben sie doch mit der Kreditunwilligkeit der Banken, mehr Steuern und vor allem damit zu kämpfen, dass die Griechen weniger Geld für Lebensmittel ausgeben können. Konstantins Lösungsvorschlag für die Krise ist, wie ja schon im anderen Post erwähnt, sehr simpel: Griechenland braucht eine nationale Revolution. Die Drachme kommt zurück und mit ihr der frühere Reichtum. Außer Griechenland braucht der Grieche nichts auf dieser Welt.
Weil alle unsere politischen Diskussionen damit enden, dass einer der beiden mich anschreit, und auf Grund Konstantins unerträglicher Witze, bin ich sehr froh als sie mich am Ende der zwei Wochen zum Bahnhof bringen. Aber die Welt teilt sich nun mal nicht in gut und böse, Konstantin und Alexandra arbeiten hart und produzieren erstklassiges Essen. Der Hof ist ihre große Liebe und ich würde es ihnen sehr gönnen, wenn sie auf ihm alt werden könnten.
Sehr langer, interessanter Post!
Liebst, Kathi
http://kathiskleiderschrank.blogspot.de/
danke für die Schilderung von so Schwierigem und trotzdem Ertragenem und letzlich positiv Erlebtem!
Vielen Dank für dein Kommentar! Du hast recht, im Endeffekt denke ich über die Zeit auf dem Bauernhof positiv.
Danke für die interessante Schilderung und für die schönen Bilder. Ich würde gerne öfter Tomaten essen, die auch nach was schmecken! Wie traurig, dass es bei all der Arbeit nichtmal für den Strom reicht.
Freut mich sehr, dass dir der Post gefällt!
Bin grade auf dem Weg nach Lettland und vermisse die griechischen Tomaten jetzt schon…
Ich kenne original Sonnengereifte Tomaten nur aus Italien, aber was für ein himmelweiter unterschied zu den holländischen Gewächshaustomaten 🙂
Dein Bericht ist sehr schön und differenziert.
LG, Sonja