Mädchen nimm dich in Acht?

Paris, Paris, Paris!

Und wieder habe ich unglaubliches Glück: Ich bin bei einer tollen Familie in einem Pariser Vorort untergebracht. Wenn ich aus dem Fenster meines Zimmers gucke, vergesse ich manchmal das Disneyland auf der anderen Seite der RER-Schnellzuglinie liegt, so magisch sieht es hier aus.
Und Paris erst! Ich gebe zu, dass ich die Geschichten immer für übertrieben gehalten habe. Wie könnte eine Stadt jemals schöner sein als mein Berlin?!
Aber, liebes Berlin, du hast verloren. Irgendwann am Ende meiner langen Tour ließ ich mich erschöpft auf die Steintreppe hinauf zur Sacré-Coeur fallen, blickte auf den Sonnenuntergang hinterm Eiffelturm und dachte, dass es kitschiger nicht werden könnte. In diesem Moment begann eine Gruppe Jugendlicher hinter mir Gitarre zu spielen und französische Chansons zu singen…

Wäre ich die Steintreppen wieder hinunter geklettert und hätte den Schnellzug bis zu meinem Schlösschen gleich gefunden, wäre die Geschichte hier zu Ende.
Leider fängt sie erst an.

Zurück im Gewirr der Gassen am Fuß des Berges klingelte mein Handy und während des langen Gespräches vergaß ich auf die Straßennamen zu achten. Ich musste vom Berg zum Fluss, immer bergab schien mir sicher genug und da ich keine Zeit mit meinen Gastgebern ausgemacht hatte, sondern ihnen einfach schreiben wollte, sobald ich im Zug zurück säße, wäre es auch nicht schlimm sich ein kleines bisschen zu verlaufen, dachte ich. Sobald ich aber aufgelegt hatte, stellte ich fest, dass ich nicht einmal annähernd dort war, wo ich sein wollte. Ich bin Profi im Verlaufen und über die Jahre habe ich gelernt, dass man niemals so aussehen sollte, als habe man sich verlaufen. Erst recht nicht dann, wenn man wirklich keine Ahnung hat wo man ist. Aber die Gegend um mich herum sah gut aus. Kinder spielten auf der Straße und Eltern aßen in kleinen Restaurants zu Abend. Normalerweise hätte ich mich in einem Laden versteckt um meinen Stadtplan aus der Jackentasche zu zerren, so aber setzte ich mich auf einer der Bänke und versuchte die bunten Linien zu deuten.

„Are you lost?“ Ähm, Ja. Kind of. Der freundliche Mann, um die vierzig und im Anzug, bot mir seine Hilfe an. Ich erklärte ihm, dass ich zur nächsten Haltestelle der RER-Züge müsse. Da habe ich aber Glück, die Haltestelle sei nur ein paar Meter weiter. Das überraschte mich, ich ließ mir den Weg erklären und lobte innerlich meinen wohl doch vorzüglichen Orientierungssinn. Als ich den Stadtplan wieder eingesteckt hatte und losging, lief der Mann neben mir her. Na gut, dann muss er halt in die gleiche Richtung, dachte ich. Schnell wurden mir seine Fragen unangenehm und ich tat, was ich auf meiner Reise schon mindestens zwanzig mal getan habe. „Oh you know, I’m just visiting Paris because of my financé. He studies here.“ Der magische Satz, durch den so oft jede Freundlichkeit erlischt. Der Mann aber blieb unbeeindruckt und wie immer ist es mir gleich furchtbar peinlich, ihm, wenn auch nur innerlich, falsche Absichten unterstellt zu haben.

Nach nur wenigen Metern erreichten wir tatsächlich einen Bahnhof. Ich wollte mich bedanken und gehen, aber er hielt mich fest. „You have boyfriend. You pay two euro. Or five.“
Wie bitte?! Das waren maximal 300 Meter Weg. Und überhaupt!
Aber ich war eingeschüchtert, wollte ihn loswerden und kippte ihm mein Kleingeld in die Hand. Zum Glück waren es nur etwas über achtzig Cent. Fluchend verschwand der Mann.

Im Bahnhof stellte ich fest, dass es der falsche Bahnhof war. Ich guckte mich um und entdeckte unter den Wartenden einen Jungen. Er war maximal zwanzig Jahre alt und hörte Musik. Frauen gab es keine und alle anderen Männer grinsten mich an, als mein Blick sie streifte. Nur der Junge beachtete mich nicht. Vorsichtig tippte ich ihm auf die Schulter, irritiert holte er die Knöpfe aus seinen Ohren, und ja! Er sprach englisch! Der Bus zu meiner Station würde direkt vorm Bahnhof fahren, sagte er und lief neben mir her als ich zum Ausgang zu laufen begann. Ich wurde nervös, aber der Junge deutete nur auf ein Bushäuschen auf der anderen Straßenseite, verabschiedete sich und ging. Zurück blieb ein flaues Gefühl. Es ist nichts schlimmes passiert und solange alle meine unangenehmen Reisebegegnungen mich nur achtzig Cent kosten, kann ich mich wohl sehr glücklich schätzen. Aber die Unsicherheit ist da. Wie hätte ich auf den ersten Typen reagieren sollen? Nicht zahlen? Gleich von Anfang an wegrennen, nur weil einer in die gleiche Richtung läuft?

Die Euphorie ist verflogen, aus den Ausrufezeichen sind Fragezeichen geworden. Wie geht ihr mit solchen Situationen um?

10 thoughts on “Mädchen nimm dich in Acht?

  1. Mein liebes Rotkäppchen!
    Da hätte Dich der böse Wolf fast vernascht.Aber Deiner lieben Omama ist als sie 1964 in Paris war etwas Ähnliches passiert. Aber das erzähle ich Dir ein andres Mal.Alles Liebe! Aus Fehlern kann man ja nur lernen.Gute Weiterreise.

  2. Nimm es als Warnung und sei ein bisschen vorsichtig. Aber lass das nicht das sein, was du mit Paris verbindest. Behalte lieber in Erinnerung, dass wildfremde Leute dich eingeladen haben, in ihrer Pariser Villa mit ihnen zu wohnen.

  3. hui, weißt du wo du warst? rings herum sind ja ein paar “gefährliche” viertel..ich wär wohl auch mega verdutzt gewesen und hätte ihn stehen lassen, denk ich..aber in solchen situation reagiert man ja eh immer anders…

    • ich glaube, dass ich nicht wirklich weit weg war von der innenstadt. um mich herum sah alles noch sehr niedlich, klein und gepflegt aus. und wo genau? keine ahnung! 🙂
      wahrscheinlich wäre stehen lassen die bessere sache gewesen… ärgert mich das der typ mit seiner blöden masche auch noch geld gemacht hat aber was solls 🙂

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  6. Oha, so habe ich Paris allerdings noch nicht kennengelernt! Was wahrscheinlich daran liegt, dass ich fliessend Französisch kann und auch noch nicht in die Banlieues geraten bin. Das erschüttert doch ein Bischen mein Bild von der, äh, Stadt der Liebe. Zum Glück alles halbwegs gut gegangen. LG, Sonja

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